Ein Urteil wider das Vergessen

Tuvalu kämpft ums Überleben. Wir um den Erhalt des Status quo.

Funafuti, Hauptstadt von Tuvalu. Foto: Lily‑Anne Homasi / DFAT (2011), via Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Gestern schrieb ein kleiner Inselstaat in Ozeanien Geschichte: Tuvalu und eine Gruppe weiterer vom steigenden Meeresspiegel bedrohter Nationen errangen vor dem Internationalen Gerichtshof einen Etappensieg für das Klima. Der IGH bestätigte, was moralisch längst klar war: Staaten sind völkerrechtlich verpflichtet, ambitionierten Klimaschutz zu betreiben – nicht irgendwann, sondern auf der Stelle.

Ein Sieg für die, denen das Wasser bis zum Hals steht.
Ein Weckruf für die, die noch glauben, das alles gehe sie nichts an.

Hierzulande allerdings flackert die Nachricht höchstens mal kurz durch den Nachrichtenstrom, bevor sie wieder versickert – irgendwo zwischen EM-Aus der Frauen, Richterwahl-Debakel und „gefühlt normalem“ Sommer. Normal ist jedoch an diesem Juli 2025 gar nichts. Wir müssen aufwachen – nicht irgendwann, sondern auf der Stelle.

Hitze? Was für ein Zufall.

Wie gesagt: Es ist Juli 2025. Mannheim schwitzt. Ganz Deutschland schwitzt. Der Dürremonitor färbt sich tiefrot, die Freibäder platzen aus allen Nähten, die Äcker vertrocknen – und während wir kollektiv versuchen, durchzuhalten, mit Ventilator, eisgekühltem Minztee oder resigniertem Achselzucken – leugnen viele noch immer den Klimawandel.

Spoiler: Das was ihr grad merkt, das isser.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Wir leben wir in einem Land, in dem Millionen den Begriff „menschengemachter Klimawandel“ für noch immer wie eine Meinung behandeln. Wo Politiker:innen nicht nur von der zurecht auf dei Ersatzbank geschickten fdP von „Technologieoffenheit“ schwatzen (Gruß geht raus an Doro Bär), wenn sie eigentlich fossile Pfade meinen. Wo Wärme-, Verkehrs- und Agrarwende hinter Schlagworten und Machtspielen verschwinden.

Die derzeitige Behördenleiterin des BMWE, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie Katherina Reiche (CDU) präsentiert sich als „pragmatisch“ – was derzeit leider heißt: rückwärtsgewandt, konzernfreundlich, konfliktscheu. Unter ihrer Führung wurde der Solardeckel wiederbelebt, Windkraft an Land ausgebremst und das Heizungsgesetz bis zur Unkenntlichkeit entkernt. Statt Wandel zu gestalten, verwaltet sie Stillstand mit PR-Sätzen und arbeitet daran, Atomkraft als nachhaltige Energhie zu definieren.

Dabei ist nichts davon überraschend.

Schon 1972 veröffentlichte der Club of Rome seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. Er warnte vor Ressourcenübernutzung, exponentiellem Wachstum – und einer sich abzeichnenden Klimakrise. 1992 folgte „Die neuen Grenzen des Wachstums“, 2004 dann das 30-Jahre-Update zu den Berichten. Immer wieder dieselbe Botschaft: Wir wissen Bescheid, die Fakten liegen auf dem Tisch, doch wir tun trotzdem zu wenig. Auch der Weltklimarat IPCC spricht Klartext: Die Erderwärmung ist menschengemacht (IPCC-Sonderbericht „Global Warming of 1.5°C“ vom Oktober 2018).

Noch haben wir Handlungsspielräume. Aber sie schrumpfen rapide – und was sagt die Bundesregierung? Man setze auf „Innovationen“ und „Technologieoffenheit“. Klingt gut – meint aber oft nur: Wir behalten das Alte bei, solange es geht. Ein SUV, der E-Fuels fährt (also reine ), neu eingebaute Gasheizungen, die „wasserstoffready“ sind. Hauptsache, es klingt modern an. Tatsächlich sind diese Lösungen teils Science-Fiction, teils teuer und ineffizient – und vor allem Nebelkerzten, die von echten, einschneidenden Veränderungen ablenken. Empfehlenswert ist hier z. B. die Titelstory Die Mär von
grünen Kraftstoffen im DUHwelt-Magazin 1/24.

Wir leben mittendrin.

Wir duschen kürzer, trennen brav den Müll, der dann gemeinsam im Heizkraftwerk verfeuert wird, reden über grüne Apps – und versieglen fleißig weiter Böden. Hauptsache, der Strompreis stimmt (zumindewst für die Industrie), und das Tempolimit bleibt ein Tabu.

Es wäre wirklich zum Lachen, wenn es nicht so tragisch wäre.

Aber: Es ist noch nicht zu spät.

Wir brauchen nicht (nur) technische Lösungen, sondern gesellschaftliche Ehrlichkeit. Vor allem aber brauchen wir politisches Handeln, das endlich aufhört, den Planeten dranzugeben, damit der schönen Wirtschaft und den Dividenden nichts passiert. Nicht nur Klimaziele auf dem Papier, sondern einen klaren Bruch mit der Illusion, dass alles bleiben könne, wie es ist.

Wenn wir nichts ändern, wird sich alles ändern – und das wird nicht schön.


Quellen und weiterführende Links:

ComIndirect

Ein Hilferuf aus der Servicewüste Deutschland

Neulich erreichte mich dieser Brief. Also ein echter, gedruckter Brief. Drei Seiten auf Papier. Von comdirect. Schon das allein ist verdächtig, denn das Letzte, was ich von dieser Bank in Papierform bekam, war ein aussageloser Werbeflyer zum Thema „Digitalisierung – wir sind bereit“.

Der Inhalt des Schreibens: Man habe „in den letzten Monaten mehrfach versucht, mich zu kontaktieren“. Ah ja. Wann genau? Zwischen den Spam-Mails zur ETF-Vorsorge und den Push-Nachrichten über das neue Design der App? Oder im geheimen Morsecode über meine Kontoauszüge, die ich nie abrufe?

Nun, jedenfalls sei ich nun dringend aufgefordert, mich zu melden – andernfalls werde man mein Konto fristgerecht kündigen. Eine erfrischende Mischung aus Gaslighting und passiv-aggressivem Schlussmachen per SMS. „Es liegt nicht an uns, es liegt an Ihnen, Herr Hoffmann.“

Pflichtbewusst rufe ich Schaf also die Hotline an – wie ein braver Kunde, der noch an Kommunikation glaubt. 17 Minuten lang lausche ich einer digital bimmelnden GEMA-freien Warteschleife, die sich wie ein musikalisches Stockholm-Syndrom in mein Ohr brennt. Schließlich meldet sich zu meiner kompletten Überraschung ein Mensch. Also, eine Stimme mit Namen. Ich nenne meine Kundennummer, mein Anliegen, wäre sogar bereit, ihm meine Schuhgröße zu offenbaren, doch der gute Mann unterbricht mich unsanft, aber bestimmt: Ohne meine achtstellige Identifikationsnummer könne er mir nicht weiterhelfen.

Ich entgegne, dass ich diese Nummer nicht kenne. Das sei, erklärt er, kein Problem – ich könne jederzeit online eine neue beantragen. Das dauere hächstens ein paar Tage. In seltenen Fällen Wochen. Man wisse es nicht genau, man sei ja schließlich bei einer Direktbank.

Nach Erhalt der neuen Nummer, so der weitere Plan, dürfe ich ihn dann erneut anrufen, um dann vielleicht – mit etwas Glück und der Gunst der Götter – mein Problem schildern zu dürfen. Also. vielleicht. Falls dann nicht wieder eine andere Nummer fehlt.

Ich frage mich, ob Kafka je daran gedacht hat, eine Novelle über Online-Banking zu schreiben. „Der Prozess“ wirkt im Vergleich zu comdirect jedenfalls wie eine recht transparente Angelegenheit. Ich hätte nicht gedacht, dass man im digitalen Zeitalter (ja, ich weiß, Neuland …) ausgerechnet bei einer Direktbank eine solche Freude an verpasster Kommunikation entwickeln kann.

Jedenfalls warte ich jetzt. Das kann ich super. Geduld ist meine ganz große Stärke. Auf die Identnummer. Auf den nächsten Hotline-Termin. Auf den Moment, in dem comdirect mir mitteilt, dass sie es erneut „mehrfach versucht“ haben, mich zu erreichen.

Vielleicht schreiben sie diesmal eine Nachricht in den Sand. Oder schicken einen Raben. Ich jedenfalls bleibe bereit – mit Kundennummer im Herzen und achtstelliger Sehnsucht im Blick.

Nach dem neunten Leben

Dein Spieltunnel:

Weggeräumt

Aber nicht deine Lieblingsdecke.

Der Kater

Will dich locken

Verwirrt

Dass nach neun Jahren

Erstmals sein Spiel du nicht störst.

Im Sommerwind auf dem Balkon

– warum schüttet es eigentlich nicht? –

Treibt eine Flocke von deinem Fell.

Im Napf

Dein letztes Nassfutter

Angetrocknet

Wir konnten es noch nicht beiseite tun.

Alles im Haus

Alles

Wartet

Dass du um die Ecke kommst

Lautstark maunzend protestierst

Weil es wieder keinen Thunfisch gibt.

Bist doch noch

In jedem Raum

In jedem Traum.

Flausch. Ein Nachruf

Flausch ist tot.

Sie kam zu uns zu einem Zeitpunkt, als ich gar nicht sicher war, ob ich schon wieder mein Herz an eine Katze hängen kann. Doch als wir sie und ihren „Bruder“ Bär zum ersten Mal sahen, war es um uns geschehen. Sie kamen nicht ins Tierheim, sondern zu uns.

Seither hat sie neuneinhalb Jahre hinter der Wohnungstür auf uns gewartet, wenn wir mal etwas länger weg waren und zurückkamen. Sie hat auf meinem Bauch geschnurrt, wenn ich auf der Couch liegend Serien gebinget habe. Sie war mir eine bessere Freundin als mancher Mensch.

Eigentlich hieß sie Apple Pie, aber wer sie einmal sah, wusste, wie inadäquat dieser Name für sie war:

Flauschinskaja Trotzki Stormborn. First of her name. Devourer of Leckerlis. Tormentor of grasshoppers. Das ewige Kitten mit dem Killerinstinkt. Die Rückenschläferin unter den Ragdolls.

Flausch ist klar, wenn man sie sieht. Trotzki war nach fünf Minuten klar, wenn man sie erlebt hat. Lautstark erinnerte sie einen an ihren sehr eigenen Kopf, und heute noch hat sie sich, den Tod schon vor Augen, nicht die Treppe hochtragen lassen, sondern hat sie aus eigener Kraft bewältigt. Und Stormborn, weil sie bei Wind und Wetter auf ihrem Lieblingsbalkon lag und es genoss, wenn Luft durch ihr weiches, langes Fell strich.

Wir hatten beide die Hand in diesem weichen langen Fell, als wir heute bis zum Ende bei ihr waren. Sie hat den Kampf gegen den Tumor verloren.

Flausch ist tot, und ich finde keine Worte, um aufzuschreiben, wie weh mir das tut.

Flausch ist tot. Aber ich habe noch ihre Haare in meinen Lieblingsklamotten.

Farewell, Pinselohrin.

Danke, dass du unser Leben fast zehn Jahre lang so viel reicher gemacht hast.

Gute Reise, Flausch Stormborn.

Der Wind, der um den toten Kirschbaum tanzt, flüstert deinen Namen.

Vielleicht geht’s ja um Mord?

Angelika Niestrath und Andreas Hüging in Palma/Isla Baleares. Foto: Olaf Ballnus

Manchmal bekommt man von einem coolen Verlag ein Exposé gezeigt, verbunden mit der Frage, ob man Lust hat, daran als Lektor zu arbeiten, das einen innehalten lässt. Nicht weil es das Rad neu erfindet. Aber weil es eine ganz eigene Tonalität hat. Eine wiedererkennbare Handschrift. man ist angenehm überrascht und sagt: „Ja klar!“ So ging es mir kürzlich – als zwei alte Hasen plötzlich ganz neue Wege einschlugen.

Angelika Niestrath und Andreas Hüging – das sind Namen, die man aus dem Kinderbuchbereich kennt. Ihre Bücher – klug, witzig und oft ein bisschen anarchisch – haben sich in viele Familien eingeschrieben. Andreas ist Musiker und schreibt mit rhythmischem Gespür, Angelika bringt jahrzehntelange Erfahrung im Buchhandel und einen ganz eigenen Blick auf Geschichten mit. Gemeinsam erschufen sie unter anderem die Straßentiger-Reihe oder die Storys um Roki, einen Roboter mit Herz und Schraube.

Doch was passiert, wenn zwei kinderbucherprobte Kreative sich austoben gehen – mit der klaren Ansage: „Jetzt machen wir mal was ganz anderes“?

Genau das darf ich als Lektor nun begleiten. Ich sage nur so viel: Es ist kein Kinderbuch. Es ist keine Musikstory. Es ist … sagen wir: unterhaltsam auf eine Art, die Erwachsene freuen wird. Humorvoll, schräg, liebevoll geschrieben – mit einem Blick für Details und eine Freude an Typen, die man gerne beobachtet, von denen man manche aber nur ungern zum Kaffee einladen würde.

Was ich nicht sagen darf: Titel, Inhalt, genaue Richtung, Schauplatz und Figuren.
Was ich sagen kann: Es erscheint, wenn wir im Plan bleiben – und davon gehe ich bei drei Profis in einem Boot aus – im Mai 2026. Es wird anders, und es trägt das Markenzeichen von zwei Menschen, die ihr Handwerk verstehen – und sich trotzdem trauen, ausgetretene Pfade zu verlassen.

Ich freue mich sehr auf dieses Buch – und bin gespannt, wie viele von euch es im Regal des Buchhandels vor ort (buy local!) erkennen werden, wenn es so weit ist. Keine Sorge: Ich sage euch rechtzeitig Bescheid.

Vielleicht darf ich um die Buchmessen rum schon mehr verraten. Bis dahin sage ich nur: Spannung mit Augenzwinkern – versprochen.